Bundesregierung fährt Krankenkassen vor die Wand

Ates Gürpinar

23.09.2022 - Altes Gürpinar: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz stabilisiert gar nichts. Im Gegenteil: Die Bundesregierung bleibt dabei, dass höhere Beiträge die Krankenkassen retten sollen. Damit zahlen die Versicherten für die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre. Wir brauchen eine Revolution der Finanzierung von Pflege und Gesundheit, das Weiter-so der Bundesregierung führt uns immer tiefer in die Krise.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, wir sollten nicht polemisch werden. Ich darf daran erinnern, dass Sie mit der Polemik angefangen haben, indem Sie das Gesetz „Finanzstabilisierungsgesetz“ genannt haben. Ich glaube, das ist die erste Polemik, die Sie sich geleistet haben, und dann müssen Sie mit manchen – leider auch üblen – Reaktionen rechnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte anfangen mit dem Problem der Schätzung; denn das erste Problem ist, wovon Sie ausgehen. Sie sagen: Es geht um 17 Milliarden Euro, die im nächsten Jahr fehlen werden. – Ich möchte daran erinnern, dass das sehr niedrig berechnet ist. Es gibt andere Berechnungen. Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung ist von 24,6 Milliarden Euro ausgegangen, und das war im Juni dieses Jahres. Da waren die ganzen Kosten, die im Winter auf die Leistungserbringerinnen und ‑erbringer zukommen werden, noch gar nicht drin. Die Krankenhäuser, die Pflege – Bereiche, die sehr energieintensiv sind – müssen die ganzen Energiekosten tragen, sind da aber noch gar nicht berücksichtigt. Deswegen sind auch die 17 Milliarden Euro definitiv zu wenig; der Betrag wird nicht ausreichen. Was Sie beschreiben, ist Polemik, weil Sie schon von einem viel zu geringen Betrag ausgehen, den Sie nächstes Jahr ausgleichen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem ist aber – Sie haben es gerade genannt –, wie das Ganze stabilisiert werden soll. Sie behaupten die ganze Zeit: Es kommt nicht so viel auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu. Der GKV-Spitzenverband sieht das anders. Der geht davon aus, dass eigentlich 11 Milliarden von diesen 17 Milliarden Euro bei den Beitragszahlenden landen. Warum? Zum einen durch die Anhebung des Zusatzbeitragssatzes um die von Ihnen genannten 0,3 Prozentpunkte. Das ist in diesem Winter übrigens schon eine beachtliche Summe, weil es nicht das Einzige ist, was auf die Menschen zukommt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich darf noch mal daran erinnern, dass die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vor allem von den Mittelverdienenden und Geringverdienenden geleistet wird, weil die Höherverdienenden dort gar nicht einzahlen, unter anderem auch einige von Ihnen nicht. Das heißt, es geht vor allem an das Geld derer, die schon jetzt zu wenig haben.

Das eigentliche Problem ist aber – es wird dann wirklich absurd –, dass Sie selbst schreiben – ich zitiere –:

"Diese Lasten müssen auf verschiedene Schultern verteilt werden und können nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern auferlegt werden."

Und dann schreiben Sie:

"So sind auf der Einnahmenseite neben höheren Bundesmitteln auch die Finanzreserven der Krankenkassen heranzuziehen."

Nun möchte ich Sie fragen, woher die Reserven dieser Krankenkassen eigentlich kommen, wenn nicht von den Beitragszahlenden, Herr Lauterbach.

(Beifall bei der LINKEN)

Die haben diese Reserven nämlich mitaufgebaut. Deswegen ist die Aussage des GKV-Spitzenverbands richtig, dass 11 Milliarden der 17 Milliarden Euro von den gesetzlich Versicherten geleistet werden – direkt oder indirekt.

Nun könnten wir eine große Lösung vorschlagen, nämlich endlich eine solidarische Gesundheitsversicherung zu machen. Das wäre dringend nötig. Sie schreiben ja auch ganz schön, dass das alles solidarisch geleistet werden soll, auch wenn Sie es selbst nicht tun.

Wir haben auch eine kleine Lösung vorgeschlagen, die Sie jetzt einfach übernehmen könnten; wir haben dazu Anträge eingereicht. Würden Sie die annehmen, würde weitaus mehr Geld zur Verfügung stehen als bei dem, was Sie vorschlagen. Zum einen wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze nicht sofort auflösen – das ist natürlich unser Ziel –, sondern zunächst einmal anheben auf das Niveau der Rentenversicherung West. Das heißt, es gibt eine Anhebung. Das betrifft dann nicht die Geringverdienenden, die dadurch nicht mehr zahlen müssen, das betrifft dann auch nicht die Mittelverdienenden, die jetzt im Winter schon nicht mehr über die Runden kommen, sondern das betrifft tatsächlich diejenigen, die gut verdienen. Das wären 12,65 Milliarden Euro, die Sie damit mehr in der Tasche hätten. – Das ist der erste Punkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt. Ich bin ja, glaube ich, selten mit Herrn Holetschek, obwohl auch aus Bayern, einer Meinung: Warum reformieren Sie nicht die Beitragszahlungen der ALG‑II-Beziehenden durch den Bund? Das wären weitere 2,6 Milliarden Euro, um die es hier gehen würde. Damit können Sie jetzt beginnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Wir reden auch über eine Reduzierung der Mehrwertsteuer; sie hat ja nicht immer Sinn gemacht. Aber wenn wir bei den Arzneimitteln den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden würden, dann wäre das, weil es ein sehr stark regulierter Markt ist, tatsächlich etwas, was bei den Erbringern ankommen würde. Das wären weitere 5 Milliarden Euro.

All das haben wir in Anträgen vorgelegt. Setzen Sie sie um! Dann müssen Sie den Titel „Finanzstabilisierungsgesetz“ nicht mehr ändern, um selbst nicht polemisch zu sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)