Eine persönliche Erklärung zur Neuregelung der Suizidassistenz und Suizidprävention

Die Debatte um assistierten Suizid hat in den letzten Jahren eine sehr problematische Entwicklung genommen. Der Diskurs hat sich verschoben: War er früher geprägt von dem Ziel, die Notsituation zu lindern, in denen sich Menschen mit suizidalen Gedanken befinden, verschob er sich nicht zuletzt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Thema mehr und mehr dahin, dass eine vermeintlich autonome Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, durch die Gesellschaft eine Unterstützung zu erfahren habe.

Diese Diskursverschiebung ist aus zweierlei Gründen problematisch: Erstens verdeckt sie, dass eine solche Entscheidung nicht völlig autonom, niemals im luftleeren Raum stattfindet, da der Mensch als soziales Wesen immer durch sein Umfeld geprägt ist, zweitens wird diese Entscheidung auch schon bislang anerkannt.

Die beiden Gesetzesentwürfe und der Antrag versinnbildlichen diese Diskursverschiebung: Mit den ausformulierten Entwürfen wird die Ermöglichung der Suizidassistenz konkretisiert, der jedoch eigentlich viel entscheidendere Antrag, der die Prävention behandelt, bleibt in Antragsform. Er steht nicht im Zentrum des Diskurses, er ist nicht in Gesetzesform gegossen. Die Gesellschaft darf nun sterben lassen; wie Menschen vom eigenen Leben überzeugt werden sollen, ist sekundär. Dies ist ausdrücklich kein Vorwurf an viele der Antragsstellenden, die sich seit Jahren um eine andere Schwerpunktsetzung bemühten. Dennoch: Die zentrale, die erste Aufgabe der Gesellschaft und ihrer vertretenden Parlamentarier:innen sollte es sein, Menschen dazu zu bringen, nicht aus dieser Gesellschaft scheiden zu wollen – und nicht Wege hierfür zu schaffen.

Grundlage für meine Entscheidungsfindung in der Frage war erstens die gesellschaftliche Pflicht, Grundlagen zu schaffen, dass jeder Mensch sein Leben als lebenswert empfindet, zweitens, Bedingungen zu schaffen, dass Menschen sich niemals als Last für ihr Umfeld begreifen, drittens das Recht, sein eigenes Leben beenden zu dürfen, viertens die Verpflichtung, dass niemand aus dem Suizid anderer Profite zieht – und fünftens: Sollten die anderen Punkte nicht erfüllt sein, darf mit der Entscheidung die Debatte nicht beendet sein.

Der gegenwärtige Zustand ist hochproblematisch, da er selbst Punkt 4 nicht ausschließt. Daher wurde nach dem Beschluss des Verfassungsgerichts eine Gesetzesinitiative nötig.

Der Gesetzesentwurf von Helling-Plahr und anderen geht nicht darüber hinaus: Er löst die Anforderungen nicht. Insbesondere verkennt er die Schwierigkeit einer autonomen Entscheidung und das Problem, das ich unter 2 benenne: Menschen werden sich mit diesem Gesetzesentwurf aufgrund der Annahme, dass sie sich als Last für ihr Umfeld begreifen, das Leben nehmen. Vereine werden dies ausnutzen können.

Der Gesetzesentwurf von Castellucci, Kappert-Gonther, Vogler und anderen hat das Problem 2 und 4 zumindest erkannt. Die Ansätze zur Lösung sind sichtbar. Sie versuchen, die vermeintlich autonomen Entscheidungen zu prüfen, sie begleiten diese Entscheidung. Dies ist eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft, wenn sie schon bei der für mich entscheidenden Aufgabe versagt, Grundlagen für ein lebenswertes Leben zu schaffen. Dieser eigentlich so entscheidende Punkt 1 bleibt problematisch und ungeklärt, kann allerdings auch durch einen einzelnen Gesetzesentwurf nicht gelöst werden. Das ist vielmehr eine politische Lebensaufgabe.

Der Entwurf von Helling-Plahr schließt sich für mich aus oben genannten Gründen aus. Würde kein Gesetzesentwurf angenommen, wäre mit einer wirklichen Gesetzesinitiative lange Jahre nicht mehr, frühestens Ende nächster Legislatur zu rechnen. Diese Einschätzung unterscheidet sich von vielen Eingaben aus der Zivilgesellschaft, die glaubten, eine Nichtzustimmung würde die Debatte weiter beleben. Davon gehe ich nicht aus. Dagegen rechne ich bei Annahme des jetzigen Gesetzesentwurfs von Castellucci und anderen damit, dass Anpassungen aufgrund einiger Unklarheiten, aber auch aufgrund der anstehenden Gesetzesinitiative des Antrags zur Prävention nötig werden. Da für mich die weitere Diskussion, also Punkt 5 unbedingt notwendig ist, erhoffe ich bei einer Zustimmung zu diesem Gesetzesentwurf und zum Präventionsantrag, dass eine Diskussion zum Suizid in der Gesellschaft nicht beendet, sondern wieder belebt wird. Es bleibt unsere zentralste Aufgabe als Gesellschaft, Grundlagen zu schaffen, dass jeder Mensch sein Leben als lebenswert erachtet.