Pflege bleibt Armutsgarant

Pflege bleibt Armutsgarant

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das System der Langzeitpflege ist eines der dringlichsten, eines der bittersten, eines der heftigsten Probleme unserer Zeit. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir hier im wahrsten Sinne von den Armen, Alten und Schwachen reden. Warum ist dies eines der größten Probleme? Weil Pflege nicht mehr nur ein Armutsrisiko darstellt, sondern eine Garantie für Armut ist, egal ob Sie in der Pflege arbeiten, auf Pflege angewiesen sind oder Angehörige haben, die zu pflegen sind.

Wenn Sie in der Pflege arbeiten, dann verdienen Sie noch weniger als die Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus, obwohl auch die nicht allzu reich sind und obwohl die Belastung enorm ist. Sie werden überdurchschnittlich oft krank, wie in einer erst gestern veröffentlichten Studie festgestellt wurde; Wechsel und Ausstiege sind die Folge. Ich glaube, Herr Lauterbach, ein weiterer Dank wirkt zumindest bei denen, mit denen ich gesprochen habe, gar nicht mehr. Im Gegenteil: Sie können diese Dankesbekundungen nicht mehr ertragen. Sie brauchen Entlastung, sie brauchen mehr Lohn und keinen dauerhaften Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie in der Pflege landen, werden Sie bei weit über 2 000 Euro Kosten, die Sie monatlich zu leisten haben, auch mit mittlerem Einkommen schnell arm. Der übergroße Anteil – das wurde schon gesagt – wird durch Angehörige gepflegt. Sie wollen ihren Partner nicht alleinlassen. Sie wollen ihrer Mutter helfen, die ja schließlich auch sie großgezogen hat. Dabei werden sie, da sie ihren eigenen Beruf nicht mehr wahrnehmen können, allzu oft selbst arm.

Aber so dringlich das Problem ist, so versteckt ist es auch. Warum? Erstens, weil sich die zu Pflegenden selbst nicht mehr gegen das System wehren können. Zweitens, weil die Beschäftigten trotz geringem Lohn noch mehr arbeiten, weil Beruf zugleich Berufung ist, weil sie immer mehr und mehr arbeiten und sich leider nicht genügend organisieren können, um aufzubegehren. Und drittens, weil die Familie das meiste übernimmt durch Kostenübernahme oder Pflegeübernahme. Sie stellen Menschen ein, teils illegal. Sie decken alles ab, tun alles für ihre Angehörigen. Es geht also weiter; irgendwie geht es immer weiter.

Was ist die Ursache? Das Versicherungssystem ist das Unsozialste, was die Gesellschaft bietet. Und das, Herr Lauterbach, gehen Sie nicht an.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gering- und Durchschnittsverdienenden sind pflichtversichert. Sie zahlen prozentual einen höheren Beitrag und müssen anteilig für mehr zu Pflegende einen höheren Anteil leisten. Der reichere Teil der Gesellschaft ist privat versichert – Sie hier wahrscheinlich zum Großteil –, sie zahlen weniger. Wer mehr hat, zahlt also weniger.

(Claudia Moll [SPD]: Ich nicht!)

– Ich auch nicht; aber die meisten von uns.

Nun liegt also nach über einem Jahr ein Gesetzentwurf vor. Bald ist übrigens Halbzeit in der Regierungszeit. Was ist Ihr Vorschlag nach einem Jahr?

Erstens. Sie kündigen ein weiteres Finanzierungskonzept an. Die Ver- und Ankündigungen nehmen schon fast religiöse Züge an. Aber an die glaubt niemand mehr; denn Sie haben nur vier Jahre, um das durchzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU])

Ich glaube übrigens, Frau Klein-Schmeink, dass Ihre Ankündigung, auch den FDP-Minister einbeziehen zu wollen, nicht zu einer Lösung zu führen scheint. Sie müssten noch mal überdenken, wer die Probleme mitverursacht hat.

Zweitens. Sie erhöhen die Versicherungskosten für die Normal- und Geringverdienenden, und das in der jetzigen Zeit. Das hat mit Menschlichkeit nichts mehr zu tun.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Und drittens. Sie verkaufen es als Erfolg, dass das Pflegegeld als Unterstützungsgeld für Pflegebedürftige nach sechs Jahren um 5 Prozent erhöht wird. In sechs Jahren betrug die Inflation 17 Prozent. Sie verkaufen also 12 Prozent weniger an Kaufkraft als Erfolg. Das ist lächerlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Vorschlag der Ampel ist erwartbar schlecht. Die Linke hat einen eigenen Entwurf vorgelegt, den wir diskutieren möchten, an dem Sie sich messen lassen müssen. Wir steigen aus dem unsozialen Finanzierungskonzept aus, in dem ärmere Beschäftigte prozentual mehr zahlen müssen, und beziehen die Reicheren, die Privatversicherten – uns alle – in das Solidarkonzept mit ein. Sie werden Teil der Pflichtversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle Einkommensarten werden in die Versicherungspflicht einbezogen. Momentan wird die Vermieterin, die die Miete erhält, nicht einbezogen, aber derjenige, der die Miete zahlt, muss zusätzlich zur Miete auch noch die Versicherungskosten zahlen. Das ist eine Unverschämtheit. Das müssen wir ändern.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Damit können wir die Inflation ausgleichen. Wir werden perspektivisch die Pflegeversicherung weiterentwickeln, sodass die Kosten begrenzt und Eigenanteile abgeschafft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Konzepte liegen vor. Sie erzählen was von Fortschritt, ergehen sich aber fast zur Halbzeit noch im Stillstand. Das ist kein Fortschritt. Die Pflege kann auf Sie nicht mehr warten. Legen Sie endlich los, sonst müssen wir es zusammen mit den Beschäftigten tun!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)